November 2019

Christian Yoboué. Ein Lebenslauf, der uns nicht mehr losließ

Am Anfang unserer Vereinsgeschichte stand er: Christian Yoboué. Ein Lebenslauf, der uns nicht mehr losließ. Wir trafen ihn zum ersten Mal im Jahr 2002 im Zentrum St.Camille in Bouake, damals war er knapp vierzig. Drei Jahre an der Kette hatte er damals hinter sich. Seine eigene Familie hatte ihn im Dorf angekettet, aus Angst vor ihm.

Christian war einst ein Wunderkind im animistischen Dorf Attoungbré nicht weit entfernt von Bouaké in der Elfenbeinküste, wo der Wald heilig ist und sein Clan das Holz, das Wasser und die Steine anbetet. Immer hatte er ein Buch in der Hosentasche: Schiller, Goethe, Sartre und Camus. Der Stolz des Dorfes war er und wurde verehrt wie ein Heiliger, weil er den Dorfbewohnern, die Ehrfurcht vor dem Wald gepredigt hat. Christian war beseelt von den Geist des Dorfes und er war begabt. Mit einem Stipendium des französischen Staates in der Tasche reiste er nach Europa, um an der Universität von Bordeaux Mathmatik zu studieren. Dort wollte Christian sein wie seine Kommilitonen, fing an Alkohol zu trinken, zu rauchen, zu feiern und verbrannte seine animistischen Fetische und Amulette. Der Kulturschock, das Alleinsein und die Kälte auf Europas Straßen haben ihn in den Wahnsinn getrieben. Als er 1983 mitten in der Nacht die Formel des Pythagoras an die Hauswände von Bordeaux kritzelte, schickten ihn die Ärzte zurück in das Dorf seines Onkels. Er brachte die Dämonen des Westens mit.Heiler versuchten ihm diese Dämonen auszutreiben, sie schlugen ihn und beteten, die wuschen ihn mit Hühnerblut, beschimpften ihn als Fouqueri und ketteten seine Beine ans Holz. Er las Kants „Kritik der reinen Vernunft“, während er in Ketten lag; umsonst, die Dämonen wollten nicht weichen.„Un jour fou, fou pour toujours – einmal verrückt, immer verrückt“, sagt der Prinz leise.Seit seiner Befreiung lebt er mit längeren Unterbrechungen lebt er in Saint Camille in Bouaké und hat dort seine Heimat gefunden. Mit Hilfe von Medikamenten hält er seine Dämonen in Zaum. Er ist Buchhalter geworden, hat als Mathematiklehrer zeitweise in Togo gearbeitet, gibt bis heute Kindern Nachhilfe in Mathematik, malt und schreibt Gedichte und Geschichten. Foto: Marianne Mösle

13.11.2019
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